Zurück zur Startseite
 Startseite   Kontakt   Impressum   Datenschutz   Gästebuch   English  Zitat von Friedrich Jürgenson

Der Dämmerschlaf des Esoterikers

von Fidelio Köberle

Wenn man der Brockhaus-Enzyklopädie glauben soll, dann sind Esoteriker Angehörige eines geschlossenen Kultverbandes, der den eingeweihten Mitgliedern das Gebot des Schweigens über Kultvorgänge und Glaubensbekenntnisse Außenstehenden gegenüber auferlegt. In diesem strengen Sinn sind wir alle keine Esoteriker. Und doch hat es sich eingebürgert, alle Menschen, die sich mit Spiritismus, Mediumismus, Jenseitsforschung (also auch Tonbandstimmenforschung), Okkultismus, Geistheilung, Reinkarnationsforschung usw. beschäftigen, als Esoteriker zu bezeichnen, oder sie benennen sich selbst so. Das Geheimnis gibt es aber nicht mehr. Alles wird offengelegt - wie in der Parapsychologie, die sich bewußt von der Esoterik absetzt, weil sie streng wissenschaftlich arbeiten möchte.

Der Esoterik würde es aber gut anstehen, wenn sie ebenfalls streng wissenschaftlich arbeiten würde. Sie wäre dann in die Nähe der Parapsychologie gerückt, die leider das wichtige Gebiet der Jenseitsforschung sträflich vernachlässigt, wenn sie es überhaupt zur Kenntnis nimmt. Solange sich das nicht ändert, wird es neben der Parapsychologie unbedingt die Esoterik geben müssen. Denn letzten Endes ist es doch viel wichtiger zu wissen, ob und wie das Leben nach dem Körpertod weitergeht, als ausschließlich die außergewöhnlichen (= paranormalen) Fähigkeiten der Seele des lebenden Menschen (z.B. Telepathie, Telekinese, Präkognition) zu erforschen, wobei man stets im Diesseits bleibt und alle paranormalen Phänomene antimistisch erklärt, auch wenn sie noch so dringend nach einer spiritistischen Deutung verlangen (wie die Tonbandstimmen, die man als Telekinesephänomen abtun möchte).

Ein großes Plus hat in meinen Augen die Esoterik gegenüber der Parapsychologie auch noch insofern, als sie die Ergebnisse ihrer Forschung weltanschaulich verwertet und so in die Lebensführung eines jeden Einzelnen einbringt.

Wenn man sich Klarheit verschaffen will, wird man verzweifelt nach Esoterikern Ausschau halten, die wissenschaftlich arbeiten. Ihre Zahl ist sehr klein. Viel zu viele lassen leichtgläubig alles in sich hineinlaufen, was ihnen als übernatürliches Phänomen vorgesetzt wird. Wenn jemand von sich behauptet, er sei ein Medium und erhalte "von drüben" Botschaften, dann geht man ehrfürchtig in die Knie und hat keinen kritischen Verstand mehr. Man kommt nicht auf den Gedanken, hier einmal zu prüfen, zu analysieren und ein gesundes Mißtrauen zu zeigen. Ein "Medium" oder ein "Channel" hat bei vielen Menschen heute den selben Stellenwert wie früher die Propheten des Alten Testaments. Die Menschen merken garnicht, daß sie häufig schlicht an der Nase herumgeführt werden von Leuten, die die Schwäche der Menschen auf diesem Gebiet erkannt haben.

Das ist das, was ich den "Dämmerschlaf des Esoterikers" nennen möchte. Man läßt sich einlullen und hört sich mit glänzenden Augen an, welche Wunder geschickte Märchenerzähler erlebt haben wollen. Man fühlt sich in die Kindheit versetzt,wo man in eine ähnliche Gefühlswelt eingetaucht war, als einem von Hänsel und Gretel erzählt wurde. Es ist einfach schön, auch als Erwachsener solchen Träumen nachzuhängen, vor allem dann, wenn einem durch geschickte Manipulation die Glaubwürdigkeit des Erzählers oder des Ereignisses suggeriert wurde. Und man wird ausgesprochen unwillig, wenn jemand daherkommt und einem diese Illusion kaputtmachen will, indem er den Finger auf die Stellen legt, wo das Berichtete bei Licht besehen sehr fragwürdig wird. Der Kritiker macht sich unbeliebt und wird womöglich als jemand bezeichnet, der alles und jedes negiert, und der in den Reihen der Esoteriker nichts zu suchen hat. Niemand möchte aus seinen schönen Träumen gerissen werden, man möchte im Dämmerschlaf bleiben.

Das kann natürlich jeder machen, wie er will. Nur darf man dann nicht behaupten, die geglaubten Phänomene seien echt und würden irgendetwas beweisen. Wer ihnen lediglich einen "Unterhaltungswert" zuerkennt, etwa wie den Darbietungen eines Zauberkünstlers, der macht keinen Fehler. Wer jedoch mit dem schweren Geschütz auffährt, die geschilderten Phänomene dazu zu benutzen, irgendwelche weltanschaulichen Schlüsse daraus zu ziehen, der muß es sich gefallen lassen, von nüchtern und sachlich denkenden Menschen als Spinner betrachtet zu werden. Solche Fehler machen leider viele Organe der Regenbogenpresse, die ihre Leser mit "Sensationen" füttern, um ihre Auflagenhöhe zu steigern. Das verführt viele Menschen dazu, jeden Unsinn zu glauben, der da berichtet wird. Das gibt andererseits den Leuten Auftrieb, die das Vorhandensein von paranormalen Phänomenen grundsätzlich leugnen: Ich hab's ja schon immer gesagt: Lauter naive Träumer!

Sie werden es nicht glauben, aber mir ist von Tonbandstimmenforschern allen Ernstes nahegelegt worden, nichts gegen die Trickser zu unternehmen, weil eine derartige Aufdeckung der Tonbandstimmenforschung schaden könnte! Das wäre das gleiche, als wenn man der Deutschen Notenbank nahelegen möchte: Sagen Sie um Gotteswillen nichts darüber, daß Falschgeld im Umlauf ist, denn das könnte das Vertrauen in die Deutsche Mark und die deutsche Wirtschaft erschüttern.

Es ist wirklich nicht leicht, die Gratwanderung durchzuhalten, zu der wir gezwungen sind: Einerseits wollen und müssen wir alles für möglich halten und vorbehaltlos offen sein für paranormale Phänomene - also die Dämmerschlaf-Phase, die oben kritisiert wurde, durchlaufen. Andererseits aber müssen wir im Nachhinein ganz streng analysieren und genauestens prüfen, ob die beobachteten Phänomene, also in unserem Fall die Stimmen, wirklich paranormalen Ursprungs sind. Inzwischen liegen genügend Erfahrungen vor mit getricksten Stimmen und deren Entstehungsarten. Verdachtsmomente wurden bereits minutiös in der VTF-Post aufgelistet. Die lautstark in die Welt hinausposaunten sensationellen Stimmen und Video-Bilder von Toten konnten samt und sonders als nicht echt erkannt werden. Echt sind bisher nur die Stimmen, die mit herkömmlichen Mitteln und unter durchschaubaren Bedingungen erhalten worden sind. Sie sind teilweise leise, teilweise aber auch von jedermann gut verstehbar. Nur eben haben sie nicht den Charakter von "Weltereignissen". Wer auf so etwas aus ist, ist immer in der Gefahr, sich etwas vormachen zu lassen. Auch kommen sie nicht immer auf Kommando. Das macht die Arbeit mühsam und für ungeduldige Gemüter enttäuschend. Wer aber geduldig forscht und die Möglichkeiten ausschöpft, die die Technik in immer größerem Umfang bietet, dem sind schöne Erfolge beschieden. Uns steht Bescheidenheit gut an angesichts des Wunders, da es die Stimmen aus dem Jenseits wirklich gibt, und daß sie jeder bekommen kann. Die Esoteriker jedoch, die im Dauer-Dämmerschlaf gefangen sind, werden irgendwann ein böses Erwachen erleben, wenn sie merken, daß ihre Geldbörse geplündert und ihr Ruf als ernstzunehmende Forscher ruiniert ist. In ihrer unverantwortlichen Leichtgläubigkeit haben sie nicht nur sich selbst, sondern auch der ernsthaften Forschung Schaden zugefügt, die so schwer um ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit ringen muß.


(Quelle: VTF-Post P 56, Heft 3/89)